„Daß wir uns einer Wegkreuzung nähern – wer von uns spürte es nicht?“ So schließt der Eintrag zum 25. September 1940 in Klaus Manns Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht (1952). Den Anlass gibt ein publizistischer Erfolg: Nach langem Ringen haben sich Mittel – und Beiträger – für Manns neue, im New Yorker Exil begründete Zeitschrift zusammengefunden. An eben diesem Septembertag, nach Eintreffen der beiden ersten Manuskripte von Aldous Huxley und Bruno Walter („Kein schlechter Anfang!“), jubelt er: „Die Zeitschrift kommt zustande!“ Die Wegkreuzung, von der die Rede ist, dient als Leitmetapher: für das Vorhaben, mehr noch für den verheerenden Zustand der Welt, dem es mit literarischen Mitteln begegnen will. „The fact that we venture, just now, on the foundation of a literary periodical–of a review of Free Culture–is in itself a gesture of protest and a gesture of hope“, heißt es im späteren Editorial.
Beim im Herbst 1940 erwogenen Namen „The Cross-Road“ ist es nicht geblieben. Kurz vor Erscheinen der ersten Ausgabe wird die Zeitschrift, die zuerst „Solidarity“, dann „Zero-Hour“ heißen sollte, noch einmal umbenannt. Ein Kollege hatte zu bedenken gegeben, der Name klinge zwar „ganz hübsch“, könnte aber auch auf herausgeberische Unbedachtheit schließen lassen. Manns Antwort: „If Cross-Road sounds undecided, why, I’ll call it Decision.“ So soll, in bester rhetorischer Tradition, jeder Eindruck von Unentschiedenheit vermieden werden, insbesondere hinsichtlich der Auswahl der Beitragenden. Die von ihnen eingebrachten Gewichte scheinen Mann sorgfältig austariert. In den ersten Nummern sollen u. a. mit dabei sein: Robert Nathan („Schriftsteller von Niveau: kann nützlich sein!“), Horace Gregory („sehr angesehen bei der Avantgarde“) und Christopher Lazare („brillanter Stilist und Causeur“). Nach dem ersten Heft im Januar 1941 aber sogleich die übliche Selbstkritik: „Nicht so viel ‚Prominente‘! Mehr Jugend! Mehr Experiment!“
Literatur gerade jetzt: die trotzige Formel ist Provokation und Refugium. Sie hängt eng mit dem parallel bearbeiteten Wendepunktbegriff zusammen. Die Kombination aus Kairos-Moment und Weggabelung („an jedem Wendepunkt hat man die Wahl“) hat den Vorzug der Polyvalenz, einsetzbar für Mikro- und Makrogeschichte gleichermaßen. Das Publikationsmedium markiert ihren Schnittpunkt. Die ‚Entscheidung‘ geht ganz im Wendepunkt auf, so wie die Zeitschrift Decision im Buch The Turning Point (1942), und dieses zehn Jahre später in Der Wendepunkt, in dem das elfte Kapitel jetzt vom Entstehen der nämlichen Vorhaben berichtet.
„Daß wir uns einer Wegkreuzung nähern“: die im Präsens formulierte Beobachtung ist dem Eintrag zum 25. September nachträglich, für die stark überarbeitete deutsche Fassung, hinzugefügt worden. Wo ist dieses Präsens zu verorten? Handelt es sich um eine Art verspätetes Präsens, das ganz auf den geschichtlichen Augenblick bezogen ist, nur eben um ein paar Jahre zeitversetzt? Oder verweist es darauf, dass auch jetzt noch oder wieder, also zehn, zwanzig, sechzig oder fünfundachtzig Jahre später, Wegkreuzungen lauern, die, weil in ihnen decisions zu machen sind, eigentlich Wendepunkte sind? Dass Literatur „just now“ eine Antwort sein kann? Sie wäre das nicht als Bestandsgröße, sondern als dynamische, adaptionsfähige Konstellation, die dazu aufruft, „Stimmen um sich [zu] versammel[n]“. Die Allmählichkeit, mit der sich Entscheidungen anbahnen, die Gelassenheit des Lebens („Alles dauert lang, das Leben hat es nicht eilig.“) – sie bereiten vor, sie bremsen nicht. Daher die notorische Präsenz des Präsens: „But I don’t want to wait. Now is the time for this venture.“