Baltic Peripeties Blog

Ein Land im Dazwischen: Eigensinn als Markenzeichen

Peripeties in Pictures

© Sascha Zachhuber

„Unsere Gesellschaft ist klein, zielgerichtet und eigensinnig“, bekannte die Vizepräsidentin des åländischen Parlaments Katrin Sjögren im vergangenen Jahr mit Blick auf das anstehende Jubiläum Åland 100, „auch wenn wir Åländer, um ehrlich zu sein, nicht mehr Personen zählen, als in ein paar Häuserblocks in Stockholm, Helsinki oder Brüssel Platz hätten. Aber wenn man klein ist, muss man klug und gewitzt sein, zuverlässige Netzwerke aufbauen und Verbündete gewinnen. 100 Jahre Autonomie der Åland-Inseln haben uns die Kraft gegeben, unser eigenes Leben und unser eigenes Schicksal zu gestalten.“

Für die Feierlichkeiten zu diesem historischen Wendepunkt hat man sich den Eigensinn (schwed. egensinne) als Markenzeichen verpasst. Neben einer selbstironischen Charakterisierung der Inselbevölkerung steht er auch für das Behaupten im Dazwischen: In der Vergangenheit militärisches umkämpftes Gebiet, ist die inmitten der Ostsee gelegene Inselgruppe heute ein international beachtetes Friedensprojekt. Obwohl Finnland zugehörig, ist die Landessprache Schwedisch. Für die Durchsetzung der Autonomie über ein Jahrhundert hinweg konnte eine gewisse Portion Eigensinn durchaus hilfreich sein. „Braucht man einen solchen Menschen, so erfordert es die Klugheit, ihm in allen Stücken nachzugeben“, wusste Zedlers Universal-Lexicon bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert.

© Sascha Zachhuber

Ebenfalls im Dazwischen angesiedelt und mit Spuren vergangenen Eigensinns ausgestattet sind Sascha Zachhubers Fotografien. So verbinden sich im Bild einer ochsenblutroten Bockwindmühle unter wolkenlosem Himmel Handwerk und Naturidylle. Ein Leuchtturm scheint beinahe verschmolzen mit dem walrückenähnlichen, wasserumspielten Felsen, auf dem er steht; und die erdigen, warmen Naturtöne von Burg, Kirchen und Festungsruinen kontrastieren mit ihrer imposanten, trutzigen Erscheinung.

Die Fotografien mögen menschenleer sein, doch erzählen sie äußerst lebendige Geschichten von Eigensinn und historischen Wendepunkten. Schloss Kastelholm beispielsweise, eine mehrmals zerstörte und stets wieder aufs Neue aufgebaute Verteidigungsanlage aus dem 15. Jahrhundert, ist ein beliebtes Ausflugsziel – früher zentral für die Sicherheit Schwedens, scheint die einzige Gefahr heute durch einen kleinen roten Zaun markiert, der sich an der Küste entlangschlängelt und Besucher:innen und Inselschafe vor einer ungeplanten Abkühlung schützt. Oder die auf Befehl des russischen Zaren erbaute Festung Bomarsund, die von den Begehrlichkeiten zeugt, die die Åland-Inseln im Ostseeraum geweckt haben. Mit ihrer Aufgabe im Jahr 1856 verband sich die Entmilitarisierung des Archipels als Teil einer neuen Friedensordnung, aber auch die Gründung der Hauptstadt Mariehamn. So erschlossen sich neue, friedvolle Kontakte in der Welt – auch dies ein Ergebnis von Beharrlichkeit und Eigensinn.

© Sascha Zachhuber
© Sascha Zachhuber
© Sascha Zachhuber

In Sascha Zachhubers Fotografien verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart. Seine visuellen Erzählungen des Dazwischen wecken Nostalgie und blicken gleichzeitig nach vorn: auf einen kleinen Archipel in der Ostsee, der mit Eigensinn, Witz und Kreativität sein ganz eigenes (Marken-)Zeichen setzt.

Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation der DFG-geförderten International Research Training Group „Baltic Peripeties. Narratives of Reformations, Revolutions and Catastrophes“ mit dem Festival Nordischer Klang zur Ausstellung „Å wie Åland“ des Fotografen Sascha Zachhuber in der Stadtbibliothek Greifswald, 13. Mai bis 28. September 2022.

© Sascha Zachhuber
Literatur
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